Sunday 16 December 2012

012 | LETZTENDLICH IST JEDER EIN VOGELFREUND

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LETZTENDLICH IST JEDER EIN VOGELFREUND 

Leckende Hähne und Leitungen, Autos und Müll, nicht nur schlecht 

Text und Fotos von Stefan Rust 2012 

(In terms of the Geneva Convention the copyright of these texts belong to Stefan Rust) 

Ein tropfender Wasserhahn im Garten und eine herumliegende Schnur ist aus menschlicher Sicht nicht gerade ein entzückender Anblick. Viele Vögel sehen das ganz anders. 

Zimmer 106 wurde mir als Gästeführer mit Ankunft bei der Etosha Safari Lodge zugeteilt. Kaum im Zimmer eingetroffen drang mir ein besonders schönes Vogelgezwitscher ans Ohr. Beim Öffnen der Fenster entdeckte ich den Grund. An der Rückwand meines Zimmers leckte die Wasserleitung und die unterschiedlichsten Vogelarten kamen an die Leitung zum trinken und saßen im Schatten der angrenzenden Vegetation. Das Quecksilber im Thermometer stieg an diesem Tag auf 42,5 Grad Celsius und das erquickende Nass wirkte wie eine Oase auf die dankbaren Tiere. 

Am Tag zuvor war ich am Hosea Kutako Flugplatz um die zwölfköpfige Reisegruppe aus Deutschland und der Schweiz in Empfang zu nehmen. Die geplante Ankunftszeit war Uhr 6:10 und verspätete sich auf Uhr 7:25. Diese Zeit nutzte ich für etwas Vogelbeobachtung auf dem Gelände der Flugplatzanlage. Ein am Boden zappelnder Vogel weckte meine Aufmerksamkeit und beim genaueren Hinschauen stellte ich fest dass es sich um ein Weibchen des Gelbbauchgirlitz (Yellow Canary/Serinus flaviventris) handelte. Verzweifelt versuchte sie einen an einem Grasbüschel verhedderten Plastikstreifen zu lösen. Dieses Stück Müll erschien ihr als geeignetes Nestbaumaterial. Nach einigen erfolglosen Versuchen den Streifen mit vollem Körpereinsatz frei zu bekommen, trotz lauthalsiger Gesangsunterstützung des auf dem nahe stehenden Zaunpfahl sitzenden Männchens, ließ sie erschöpft ab. Beeindruckt von der Schwerstarbeit des Weibchens löste ich den Plastikstreifen und legte ihn deutlich sichtbar auf den Buergersteig nebenan. Kaum hatte ich mich ein paar Meter entfernt als auch schon gleich das Weibchen angesaust kam und, dies Stück Müll dankbar mit dem Schnabel aufnahm und Richtung ihrem halbfertigen Nest flog, den Plastikstreifen wie einen Schleier hinter sich hertragend. 

Was uns Menschen als Müll und Unordentlichkeit erscheint, dient vielen Vögeln zum überleben. Sie kommen zum Trinken an tropfende Hähne und Leitungen, nutzen die sich bildenden Pfützen zum Baden und zur Gefiederpflege, Schwalben holen sich den feuchten Lehm aus den Pfützen als Baumaterial für ihre Nester. Für die Vogelwelt wirkt diese Nachlässigkeit und der unauffällige Müll am Wegrand wie ein Baumarkt. Selbst ein treuer Gefährte auf oft holprigen Wegen unseres Lebens wie Stiefel oder Lederschuhe können, obwohl als Schuhwerk ausgedient, noch als Nester an strategisch günstigen Stellen angebracht, noch mal zur Ehre kommen. 

In vielen ordentlichen Gärten und bei sauberen Anlagen gibt es kaum mehr tropfende Hähne, leckende Leitungen und keinen Müll Somit auch dementsprechend wenig Fauna in diesen Gefilden.
Wer sich mit etwas tropfendem Wasser, unauffälligem „Müll“ oder alternativen Nestern in seinem ästhetischen Sinn gestört fühlt, der möge seinen Teil des Artenschutzes durch künstliche Vogeltränken, Schlammbäder, Nistmöglichkeiten und über die Zeit gesammeltes Nistmaterialangebot beitragen. Unsere gefiederten Mitbewohner dieser Erde werden es dankbar annehmen und sie, den Beobachter, mit vielen Stunden der Begeisterung an ihrem Leben teilhaben lassen.

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